Raaatsch! Heftig setzt mein rechtes Pedal auf dem Beton auf, hebt kurz das Hinterrad an und ver- setzt das Bike nach links. Puh, gerade noch gut gegangen. Das ungewollte Fahrmanöver hätte auch in einem fiesen Sturz enden können. Tatort Contidrom bei Hannover. Die Reifen-Prüfstrecke hat in den Steilkurven eine Neigung von 58 Grad. Normalerweise werden hier Autos jenseits von Tempo 200 getestet. Hunderte von Runden habe ich hier für AUTO BILD Neuwagen getestet – vom schweren XL-SUV über Familienvans bis hin zu Supersportwagen.
Haibike Xduro Race S RX:
 Rahmen: Alu 6061, Rahmengrößen: 50/53/56/62; Schaltung: Sram Rival 11-fach; Reifen: Schwalbe Durano E faltbar 32-622; Gabel: Xduro Aluminium; Bremsen: Sram Rival, hydraulische Scheibenbremse 160 mm; Laufräder: DT Swiss Spline R32; Kassette: Sram PG 1130; Motor: Bosch Performance 36 Volt, 45 km/h, 350 Watt nominal, Akku: Lithium-Ionen 500 Watt; Gewicht: 18 kg; Preis: 4699 Euro.
Bild: Sven Krieger

S-Pedelec statt SUV

Heute aber sitze ich auf einem Elektro-Rennrad und bin mit 42 km/h unterwegs. Das Testrad vom Typ Haibike Xduro Race S RX ist sogar ein S-Pedelec (schnelles eBike). Es unterstützt den Fahrer bis Tempo 45. Trotzdem fahre ich nicht am körperlichen Limit, sondern atme recht entspannt. Der Pulsmesser zeigt 160 Schläge pro Minute, rund 30 Schläge unter meinem Maximum. Auf meinem eigenen Rennrad ohne Motor schaffe ich dieses Tempo nur mit rasendem Herz und bin sofort fertig. Genial, wie effektiv der elektrische Antrieb meine Muskelleistung ergänzt.
Cockpit: Das übersichtliche Display ist gut bedienbar und liefert alle wichtigen Infos. Rechts vom massiven Vorbau sitzt eine kleine Glocke.
Bild: Sven Krieger

Elf Gänge

Rechts fliegt eine Wand aus Betonplatten vorbei. Die Steilkurve fühlt sich fast senkrecht an. Nein, bis zur gelben Streckenmarkierung traue ich mich nicht noch mal. Zu groß ist die Gefahr, erneut mit der Klickpedale aufzusetzen. Dann ist auch schon wieder die Gerade da. Gegenwind bläst mir ins Gesicht. Kein Problem: Ich schalte die Unterstützungsstufe auf Turbo und die Sram-Rival-Kettschaltung in den elften Gang. Mehr Fahrstufen gibt es nicht – völlig ungewohnt für ein Rennrad. Gleiches gilt fürs vordere Einfach-Kettenblatt. Mit nur 20 Zähnen hebt es sich deutlich von konventionellen Racern ab, die meist mit 54 und mehr Zähnen auftrumpfen.
eBikes fahren eben in einer eigenen Welt. Und dass Haibike sein Xduro als S-Pedelec anbietet, ist nur konsequent. Ein Rennrad ist im Flachland meistens mit mindestens 25 km/h unterwegs. Normal-Pedelecs regeln ihre E-Unterstützung bereits ab, wenn bei Rennrädern der Spaß erst richtig losgeht. Beim Haibike zieht der Bosch-Performance-Motor mit maximal 350 Watt zusätzlich zu meiner Beinkraft an der Kette und schiebt das Rad besonders aus mittleren Geschwindigkeiten blitzartig nach vorn.
Spezialreifen: Der Durano E ist ein besonderer Reifen für S-Pedelecs und mit 32 Millimetern breiter als übliche Rennrad-Pneus.
Bild: Sven Krieger

Design(-zugeständnisse)

Einen Ortsschild-Sprint kann so auch ein untrainierter Fahrer gegen den Vereinsmeister gewinnen. Aber will man das? Spätestens bei der Optik erntet der S-Pedelec-Pilot mehr Mitleid als Bewunderung: massiger Hinterbau-Ständer, klobiger Rückspiegel, Bremslicht am Sattel, hässliche Reflektoren und Alibi-Glocke – all das sind gesetzliche Zugeständnisse, die Ästheten schaudern lassen. Bei einem Rennrad geht es schließlich auch immer um Design, Purismus und auf Vortrieb optimierte Funktionalität. Mit einem leisen Singen des Mittelmotors halte ich das Tempo bei 34. Mein Puls sinkt auf 124 Schläge – ein idealer Wert fürs Training der Ausdauerleistung. Und das bei dieser flotten Pace. Ohne E-Unterstützung wäre ich nur mit 20 bis 25 km/h unterwegs. Die große Stunde des E-Rennrads schlägt natürlich in den Bergen. Dort erleichtert es nicht nur lange Aufstiege, sondern macht vielen Amateursportlern einen Alpenpass überhaupt erst bezwingbar. Der E-Racer ist eine ideale Trainingsrakete und Kletterhilfe.

18 Kilogramm

Und dennoch will der Funke nicht überspringen. Echtes Rennrad-Feeling kommt irgendwie nicht auf. Klar, der Lenker ist sportlich nach unten gebogen, die Sitzhaltung aerodynamisch tief und der Rahmen für eine effiziente Kraftübertragung optimiert, doch mein alter Alu-Renner aus dem Jahr 2004 macht mir mehr Spaß. Denn eines geht dem Haibike komplett ab: Leichtbau! Und der ist für ein Rennrad elementar. Ob beim Anfahren, Einlenken oder besonders beim Tragen – die spielerische Wendigkeit und Spontaneität eines Rennrads kann das rund 18 Kilo schwere Xduro zu keiner Zeit rüberbringen. Hat es erst mal Fahrt aufgenommen, rollt es je nach Unterstützungsstufe zügig, sehr zügig oder auch im Profitempo dahin. Und wehe, der Akku ist alle oder der Fahrer drückt den Aus- Schalter: Dann fühlt sich das S-Pedelec schlagartig wie ein Vorkriegs- Militärfahrrad an und nicht wie eine Hightech-Rennmaschine.


Das sagen Rennrad-Fans:

Testoval: Die drei Kilometer lange Prüfstrecke ist für Autotests konzipiert und eignet sich bedingt auch für Rennräder.
Bild: Sven Krieger

Thomas Kropp (36): Eigentlich cool, das Ding. Besonders beim Anfahren macht das E-Rennrad viel Spaß. Aber bei 45 km/h nimmt der Antrieb zu schlagartig den Schub weg. Für trainierte Fahrer wird es schnell langweilig.
Bild: Sven Krieger