Seit zwei Jahren bröckelt nun auch das stärkste Bollwerk des körpereigenen Fahrradfahrens massiv: das Rennrad. Feinste Carbonfasern, die jahrzehntelang virtuos miteinander verschlungen zu gewichtsoptimierten Rahmen verarbeitet wurden, kriegen Motoren aufgedrückt, die dreimal so viel wiegen wie das Set aus Rahmen und Gabel.
Radsportler gehen dagegen auf die Barrikaden und kritisieren: Die Elektrifizierung des Rennrads sei sportzerstörend. Schließlich stehe der Radsport doch wie kein anderer für das Prinzip Leistung. Und der Hungerast ist eine transzendente Erfahrung? Atmen wir mal kurz durch. Fakt ist: Die Realität hat die Traditionalisten längst auf brutale Weise eingeholt. Heute führt fast jeder Radhersteller ein E-Rennrad, und wir erfreuen uns immer noch an der Tour de France.

War es Motordoping?

Die Diskussionen ums E-Rennrad sind bis heute stark gefärbt von Vorurteilen und Widersprüchen. Vor mehr als zehn Jahren, im Frühjahr 2010, kochten die Emotionen der Radsportszene das erste Mal deutlich oberhalb des Siedepunkts.
Der Schweizer Zeitfahrspezialist Fabian Cancellara gewann in diesem Jahr die zu den fünf Monumenten des Radsports zählende Flandern-Rundfahrt durch einen imposanten Antritt am legendären Bergstück „Mauer von Geraardsbergen“. Sein Kontrahent Tom Boonen konnte ihm nicht folgen, die Radsportgemeinde war perplex ob dieser Dominanz. Der Vorwurf des Motordopings kam auf, bewiesen ist bis heute nichts.
Das E-Rennrad hat jedoch seitdem seinen Ruf weg als Betrügerrad. Es heißt, wer mit Motor fährt, steht auf einer Stufe mit Dopern. Seit der Tour de France 2010 werden Räder deswegen geröntgt, Motordoper müssen bei Vergehen mit mehr als sechs Monaten Sperre und hohen Geldstrafen rechnen.

Spätzünder – kein Ausreißer

Der Radsport hatte schon immer seine eigenen Gesetze, und ein ungeschriebenes lautet bis heute, dass Impulse für Innovationen fast immer industrieseitig in den Sport getragen werden. Beim E-Rennrad wagte Haibike mit dem eQ Race zwei Jahre nach Cancellaras Fabelritt den ersten E-Rennrad-Vorstoß, doch das Projekt war wegen des hässlichen Designs zum Scheitern verurteilt. Ästhetik und Strahlkraft gehören zum Radsport wie das Ventil zur Ventilkappe.
Okay, schlechtes Beispiel, da Radsportler Ventilkappen abschrauben, auch so ein ungeschriebenes Gesetz. In Wahrheit geht es bei diesen Marotten um Traditionsbewahrung. Klassische Formen wie der Diamantrahmen werden vergöttert. Das war schon immer so, es wird immer so sein. Ein E-Renner mit miesen Proportionen und exponiertem Motor konnte das Herz des Radsportlers einfach nicht erobern. Und doch, es ist immer der erste Stein, der eine Dominowelle ins Rollen bringt, genauso war es auch beim E-Rennrad.
Die Ähnlichkeit von E-Rennrädern zu solchen ohne Elektroantrieb ist teils frappierend.
Bild: Daniel Geiger

In den Folgejahren wurde es zwar ruhig um den Typus, aber hinter den Kulissen war das Thema auf der Agenda, nicht zuletzt weil niemand den Trend verschlafen wollte. Im Rückblick fragt man sich, warum das Rennrad erst so spät herstellerübergreifend elektrifiziert wurde.
Wo wäre ein Zugewinn von ein paar Watt mittels Hilfsmotor dienlicher, als unterm Sattel von Fahrern, die sodann Ziele ansteuern könnten, die zuvor unerreichbar schienen? Man stelle sich vor, dass somit Fahrer unterschiedlicher Niveaus miteinander trainieren können? Jeder kann mit jedem fahren: Das ist die Demokratisierung des Radsports.

Diese E-Rennräder haben wir getestet

Diese E-Rennräder haben wir getestet
Cannondale Supersix Evo Neo 2
5.499 Euro
Canyon Endurace:ON AL 7
2.999 Euro
Centurion Overdrive Carbon Road Z4000
5.599 Euro
Focus Paralane2 9.9
10.499 Euro
Specialized Turbo Creo SL Expert
8.499 Euro
Trek Domane+ LT
5.499 Euro

Fazua-Motoren bringen den Durchbruch

Das E-Rennrad hatte aber nicht nur mit Imageproblemen zu kämpfen, sondern musste auch erst mal technische Hürden nehmen, eine der höchsten stellte die Reisegeschwindigkeit dar. Auf dem Rennrad springt die Tachonadel leicht über 30 km/h, was soll man da mit einem Sportrad, dessen Getriebe über 25 km/h massiven Widerstand leistet?
An dieser Stelle tritt der deutsche E-Bike-Motorenhersteller Fazua mit einer Lösung des Problems aufs Spielfeld. Im Jahr 2015 hatte das deutsche Startup einen ersten fahrbaren Prototyp auf dem Tisch, der drei Jahre nach der Firmengründung 2014 in Serienproduktion ging und Stand heute die Mehrheit der E-Rennräder antreibt. Daher kann der Zeitraum 2017/18 auch als zweite Geburtsstunde des E-Rennrads gesehen werden – auf den Messen dieser Jahre präsentierten viele Hersteller, Focus voran, schicke, schlanke und leichte E-Renner.
Anders als die Konkurrenz setzt Cannondale auf einen unauffälligen Mahle-Ebikemotion-Heckantrieb.
Bild: Daniel Geiger

Ein anderer Innovationstreiber: Ebikemotion

Fazua hatte einen Weg gefunden, ihre Antriebseinheit so zu designen, dass sie dezent ins Unterrohr des E-Rennrads verschwand. Der optische Makel war damit endlich obsolet. Und das zweite Problem konnte gleich mitgelöst werden: Durch die besondere Konstruktion (siehe Interview) kann nach Überschreiten der 25-km/h-Marke quasi ohne Reibungsverlust – Tretlagermotoren können nie ganz entkoppeln – weiterpedaliert werden.
Noch einen Hauch eleganter löst nur Automobilzulieferer Mahle die Designfrage mit dem Ebikemotion-Hinterradnabenmotor, verbaut in unserem Testrad von Cannondale. Die Sichtbarkeit ist noch mal geringer, und bauartbedingt kann der Heckmotor komplett entkoppeln. Die Konstruktion hat wiederum Nachteile: Der Schwerpunkt ist schlechter, gerade bergauf, und der Nabenmotor verschleißt schneller.
Andere Hersteller wie Specialized gehen eigene Wege. Die Amerikaner haben mit Brose zusammen einen Mittelmotor entwickelt, der besonders harmonisch ist. Das Rennen um den besten E-Rennrad-Motor ist längst eröffnet! Und was macht eigentlich Bosch? Der Konzern bleibt dem Segment erst mal fern.

Das nächste große E-Ding?

Noch sind die Verkaufszahlen von E-Rennrädern gering. In Spanien und Italien, wo die Radsportkultur älter ist als hierzulande, trifft man aber in den Bergen und an den Küsten der Rennrad-Hotspots immer mehr Rennradler, die sich nicht mehr so quälen wollen oder können wie früher.
Wann entdecken Profis das E-Rennrad als Trainingsgerät zum Wiedereinstieg nach Verletzungspausen? Oder gehen wir noch einen Schritt weiter: Könnte es irgendwann Rennen auf E-Rennrädern geben? Eine E-Tour de France, die jener Fahrer gewinnt, der den Motor am taktisch klügsten einsetzt? Spätestens jetzt schalten die Traditionalisten wohl ganz ab, das wäre dann die Legalisierung von Motordoping. Vielleicht aber auch nur ein ganz neuer Sport.
So oder so: Die Zukunft auf der Straße ist auch elektrisch.

6 beliebte E-Rennräder im großen Vergleichstest

Punkte
30,5/35 (Testsieger)
25,5/35
25,5/35 (Preis-Leistungs-Sieger)
29,5/35
30/35
24,5/35
Note
sehr gut
gut
gut
sehr gut
sehr gut
gut
Preis
8.499 Euro
5.499 Euro
2.999 Euro
5.499 Euro
10.499 Euro
5.599 Euro
Fazit
Das Specialized Turbo Creo SL Expert ist eine Klasse für sich: leicht, wendig und hochwertig ausgestattet.
Das E-Rennrad Cannondale Supersix Evo Neo 2 fährt sich trotz Motorunterstützung fast wie ein normales Rennrad.
Beim E-Rennrad Endurace:ON AL 7 ist uns vor allem Shimanos GRX-Ausstattung positiv aufgefallen.
Die US-Amerikaner von Trek haben beim E-Rennrad Domane+ LT das Augenmerk auf Komfort gelegt.
Ein Hochgenuss beim E-Renner von Trek ist Shimanos ranghöchste, elektronische Schaltung Dura Ace.
Das Overdrive ist ein gutmütiger Begleiter – ein E-Renner, auf den Verlass ist.
Test
Ausführlicher Testbericht
Ausführlicher Testbericht
Ausführlicher Testbericht
Ausführlicher Testbericht
Ausführlicher Testbericht
Ausführlicher Testbericht

6 beliebte E-Rennräder im großen Vergleichstest

Ausgewählte Produkte in tabellarischer Übersicht
Turbo Creo SL Expert Specialized
sehr gut
Zum Angebot
Cannondale Supersix Evo Neo 2
gut
Zum Angebot
Endurace:ON AL 7 Canyon
gut
Zum Angebot
Trek Domane+ LT
sehr gut
Zum Angebot
Focus Paralane2 9.9
sehr gut
Zum Angebot
Overdrive Carbon Road Z4000 Centurion
gut
Zum Angebot

So haben wir E-Rennräder getestet

Unser Testverfahren baut zweistufig auf.
Zunächst werden die Räder im renommierten Testinstitut der DEKRA in Stuttgart auf dem Prüfstand untersucht. Wir lassen Reichweite, Unterstützungsfaktor und das Fahren ohne Support messen. Zudem wird ein Stresstest gefahren, vergleichbar mit einem Passanstieg. Wichtiger Hinweis: Die Messwerte Reichweite und U-Faktor haben wir mit dem Faktor zwei korrigiert. Andernfalls kämen durchweg Bewertungen im Bereich von ein bis zweieinhalb Sternen heraus, die gemessen an einem E-Trekkingrad mit Bosch-Motor zwar abbildbar sind, aber hier die Bedürfnisse von Radsportlern unterlaufen.
Ferner wurde jedes Bike von einem erfahrenen Tester gefahren. Die Eindrücke fließen unter Fahrspaß ebenso ins Endergebnis ein wie die Design-Bewertung. Final begutachten wir die Ausstattung und bewerten die Komponenten.

Interview: „Der Radfahrer soll auf kein Gaspedal drücken“

Viele Motoren in dem E-Rennrad- und E-Gravelbike-Bereich stammen von Fazua. Wir haben den Geschäftsführer Fabian Reuter gefragt, warum das deutsche Unternehmen aus München das Sportsegment dominiert.
Fabian Reuter ist Mitgründer und Geschäftsführer des deutschen Motorenherstellers Fazua.
Bild: Daniel Geiger
Wie kommt man auf die Idee, in einem Segment, wo ein mächtiger Konzern wie Bosch aktiv ist, ein Start-up zu gründen?
Immer wenn diese Frage kommt, erinnere ich mich an eine Begebenheit aus der Schulzeit zurück, als unser zweiter Geschäftsführer Johannes Biechele und ich noch gemeinsam die Schulbank drückten. Wir hockten so über unseren Lateinaufgaben, und Johannes, der Vater des Fazua-Antriebs, sagte damals zu mir: Fabi, das macht hier alles keinen Sinn. Er schmiss die Schule, arbeitete anschließend bei BMW und studierte Fahrzeugtechnik. Johannes war schon immer ein Tüftler, er wollte ein E-BikeAntriebssystem für sportliche und performanceorientierte Fahrer entwickeln.
Mit dem Performance CX hat Bosch einen potenten Motor für Sportler im Portfolio.
Der Markt wird von Bosch dominiert, ganz klar, die Verbreitung im Handel ist bewundernswert. Wir verfolgen aber eine andere Strategie. Unter sportlichen E-Bikes verstehen wir nicht Pedelecs mit großer Motorengewalt. Was wir stattdessen extrem in den Fokus rücken, ist das Thema Biomechanik. Wir wollen, dass sich das Radeln mit unserem Motor natürlich, geschmeidig und dynamisch anfühlt. Ich sage gern: Das Fahren mit einem Fazua-Antrieb soll sich anfühlen, als würde man mit Rückenwind unterwegs sein. Der Radfahrer soll auf kein Gaspedal drücken. Fazua ist der sportliche Antrieb für sportliche Fahrer.
Hat sich Fazua von Beginn an auf Rennräder fokussiert?
Viele unserer Kunden, also die Fahrradhersteller, mit denen wir gesprochen haben, erzählten uns, dass sie enorm viele E-Citybikes, E-Mountainbikes und E-Commuter verkaufen, aber für Rennräder keine adäquate elektrisch betriebene Lösung parat hätten. Deswegen haben die Hersteller angefangen, Fazua-Antriebe in Rennrädern zu verbauen. Was nicht heißt, dass unser Antriebssystem originär für Rennräder konstruiert wurde. Das sieht man übrigens auch an der Kadenz: Anfangs lag die optimale Kraftentfaltung des Motors bei 60 Umdrehungen pro Minute, auf dem Rennrad werden aber Kadenzen von 80, 90 und mehr gefahren. Ich sag es mal so: Das Rennrad ist zum Fazua-Motor gekommen – und nicht der Fazua-Motor zum Rennrad.
Mit einem Handgriff entfernt man den Fazua-Antrieb aus der Radhalterung.
Bild: Daniel Geiger
Was ist technisch das Besondere an der Fazua-Antriebseinheit?
Vor allem die Anordnung: Der Motor stößt mit einer 90-Grad-Versetzung auf das Getriebe. Dadurch erreichen wir eine andere Bauform, kombiniert mit einem kleinen, schlanken Umlenkgetriebe. Der Motor verschwindet komplett im Unterrohr. Zusätzlich haben wir den Motor von den Getriebeelementen entkoppelt und mit einer Schnittstelle versehen. Damit lässt sich das komplette Fazua-System, bestehend aus Akku und Motor, entnehmen.
Wo werden die Motoren entwickelt und produziert?
Die Entwicklung findet bei uns im Haus statt – vom Konzept übers Design bis hin zur Hard- und Softwareentwicklung. Natürlich arbeiten wir mit Partnern zusammen, um in jedem Segment die beste technische Lösung zu realisieren. Die Montage findet ebenfalls am Standort in München statt. Jedes Modul wird an einer Produktionslinie von unseren Mitarbeitern zusammengebaut und durchläuft eine Endkontrolle am Prüfstand. Über 150 Bauteile fließen in das Antriebssystem ein, welche zum Großteil von Lieferanten aus Europa stammen. Getriebeteile kommen aus Deutschland, der Motor wird nach unseren Spezifikationen in der Schweiz gefertigt.