Die Serie Orbit 360 stellt jedem der Lust hat sich auszuprobieren, insgesamt 16 Gravel-Routen zur Verfügung – eine in jedem Bundesland. Nachdem die Kollegen*innen schon Bremen und Brandenburg mit mal mehr, mal weniger Erfolg unter die Breitreifen genommen haben, versuche ich mich an einem Dienstag Morgen an der Niedersachsen-Tour.
Diese führt von Buchholz in der Nordheide erst einmal östlich Richtung Lüneburg, dann südwestlich nach Bleckede an der Elbe, weiter Richtung Süden nach Bad Bodenteich, dann westlich nach Soltau und schließlich wieder nördlich nach Buchholz. 300 Kilometer soll die Runde lang sein (mein Gerät wird später 300 anzeigen) und rund 2000 Höhenmeter mit sich bringen. An dieser Stelle direkt eine kleine Anmerkung: Auch wenn 2000 Höhenmeter nicht viel erscheinen – nicht notiert sind auf dem Datenblatt die vielen Meter auf tiefen Sandböden. Vorsicht!
Zeitlich mit sehr geringem Spielraum ausgestattet, entschließe ich mich zu einer Hau-Ruck-Aktion. Die Taktik: Durch die Nacht fahren, damit ich sicher von Buchholz mit dem Zug wieder zurück nach Hamburg komme. Nachdem ich abends mein Bike fertig gepackt und ausgestattet habe, bleibt mir noch eine halbe Stunde auf dem Bett, bevor der Wecker klingelt. Um 0.11 Uhr geht meine S-Bahn, um 0.57 Uhr der Zug und um 1.25 Uhr verlasse ich den Bahnhof in Buchholz in der Nordheide. Auf geht's.

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Bilder und Fotos vom Orbit 360 Niedersachsen

Ich bin schon öfters durch die Nacht geradelt – auf Straßen. Im dunklen Wald hingegen fühlt sich alles – ich bin Dunkel-Schisser – ein wenig spooky an. Egal, daran wollte ich schon immer arbeiten. Schon nach ein paar hundert Metern verfahre ich mich, weil ich einen kleinen Trail nicht gesehen habe. Oje, hatte der Kollege nicht eine etwas beängstigende Erfahrung aus Bremen mitgebracht? Tatsächlich aber ist es mein Fehler, bzw. der Wahoo Element Bold ist manchmal etwas träge. Schon nach einer Stunde auf schönen und gut zu befahrenen Schotter und Waldwegen ahne ich, dass diese Strecke gut ausbaldowert ist – ein Stil ist schnell zu erkennen. Schade nur, dass ich in tief dunkler Nacht von der Landschaft nicht so viel mitbekomme. Aber dafür gibt es während des Tages noch genug Möglichkeiten.
Es ist kalt. Zwischendurch sinkt die Temperatur auf 5 Grad Celsius. Grenzwertig, wenn man nur mit Beinlingen fährt. Oben rum indes bin ich gut versorgt. Die Strecke macht richtig Spaß. Die ersten drei Stunden sehe ich weder Mensch noch Auto. Herrlich. Viele Reitwege gibt es hier – wenn man Glück hat, verläuft ein Rad- und Wanderweg daneben. (Merke: Reitwege sind für uns Radler die Pest. Tief und zertreten.)

Die Nacht endet, der Traum beginnt

Bei Reppenstedt, Nähe Lüneburg, folge ich dem Landwehr – eine Wallanlage, die im Mittelalter nicht Feinde abhalten sollte, vielmehr wurden durch diese, rund um Lüneburg gebaute Anlage, Händler eingesammelt und sozusagen gezwungen, vor der Weiterreise ihre Waren zuerst in Lüneburg feilzubieten. Wie auch immer, auf dieser Wallanlage zu fahren, ist ein Traum. Vier, fünf Kilometer lang saust man über einen perfekten Singletrail. Mittlerweile ist es hell, und vor mir springt ein Reh zur Seite und flieht übers Feld. Sein Kumpel steht ein paar Meter weiter und guckt mich an, als wolle es sagen "Kann man dir trauen oder muss ich auch abhauen?" Man kann mir trauen, ich will nur Rad fahren.
Das Sonnenlicht erwärmt die Felder und am Elbe-Seitenkanal steht der Nebel tief über dem Gewässer, durch welches sich ein Kahn tankt. Wunderbares Bild. In Bleckede an der Elbe wartet Frühstück beim Bäcker auf mich. Endlich Kaffee! Wenig später, bei Kilometer 100, ein Schock: Das rote Lämpchen an meiner Sram-AXS-Schaltung leuchtet. Au Backe! Ich habe noch 200 Kilometer vor mir. Wie soll das gut gehen? Tatsächlich beschäftigt mich dieses Thema so stark, dass ich meine Konzentration verliere. Wo ich eben noch zügig voranfuhr, trete ich jetzt quasi auf der Stelle.
Mein Plan: Ich schalte von nun an extrem wenig. So muss ich jedoch manchen Anstieg im zu schweren Gang erkämpfen, und bergab hebe ich bei 25 km/h die Füße hoch und verpasse viele Chancen, mit wenig Druck aber dickem Gang schneller als 30 zu fahren. Das Hochdrücken auf die Hügel lässt zudem meinen Rücken schlapp machen, und schon bald sehe ich mich 20 Minuten auf einem Waldweg liegen, um Entspannung ins Spiel zu bringen.

Kopfkino, Sturz und Heidewitzka

Wenige Meter später steht der Aussichtsturm auf der höchsten Ergebung im Wendland, dem Hohen Mechtin (142 Meter ü.NN). Ob die rund 165 Stufen meinen Rücken gut tun? Ich versuche alles. Zumindest der Blick ist oben sehr schön. Aber ich muss weiter. Weiterer Rückschlag: Bei Kilometer 136 stürze ich ziemlich heftig bei einer Abfahrt. Irre, was einem in ein paar Zehntelsekunden alles durch den Kopf gehen kann. Als ich wieder klar denke, sagt ein erster Check-up, dass wohl nur eine Rippe etwas abbekommen hat. Das tut zwar weh, aber weil das Rad unversehrt ist, sitze ich wenige Minuten später wieder im Sattel.
Die gesamten zweiten einhundert Kilometer fallen mir extrem schwer. Immer schwebt das Schaltungs-Damokles-Schwert über mir. Der Radladen in Bad Bodenteich (Kilometer 175) könnte helfen, aber Herr Otte, der Inhaber, sagt nur so was wie "Sram ist hier nicht verbreitet, so etwas gibt es hier nicht". Nun denn. Mittlerweile – sieben Stunden nach dem Entdecken des roten Lichts – bin ich eh so gepolt, dass ich mit jedwedem Schicksal hantieren kann. Also sei's drum. Und ab Kilometer 200 geht plötzlich wieder alles, Kraft und vor allem Selbstvertrauen sind zurück. Heide-Witzka – im Sinne des Wortes. Wissen die geneigten Leser eigentlich wie schön die Heide ist?! Leider auch sandig. Das zieht richtig Power. Komischerweise ist mir das alles nun egal. "Das Pferd merkt, dass es in den Stall kommt", sagt ein altes Sprichwort. Gut, es sind zwar noch locker 80 Kilometer also rund fünf oder sechs Stunden bis Buchholz, aber meine Laune ist super und alles läuft.
Ein Schreck-Viertelstunde gibt es noch einmal direkt vor Soltau bei Kilometer 238. Der Wahoo versagt von einer Sekunde auf die andere seinen Dienst. Was tun wenn die Navigation ausfällt? Zumal mein Handy mit der Komoot-Runde nur noch 15 Prozent Akkuvolumen hat? Das könnte das Ende aller Mühen sein. Letztlich fahre ich den Bolt nach einigen anderen Versuchen komplett runter und beim wieder hochfahren stellt er meinen Workout wieder her. Glück gehabt.

Das Pferd riecht den Stall

Ein traumhaft schönes Stück Erde wartet auf Orbit-Piloten in der Lüneburger Heide bei Niederhaverbeck. Es ist so schön, dass ich den beginnenden Sonnenuntergang fünf Minuten auf einer Bank genieße. Umwerfend. Rund zehn Kilometer vor dem Ziel wartet dann beim Sprötze der 129 Meter hohe Brunsberg. Der Weg hinauf ist ein steiler Stich, den man eigentlich kurz vor dem Ziel nicht mehr benötigt. Dennoch sind die Mühen lohnenswert. Zuerst der befriedende Blick, dann eine spektakuläre Abfahrt. Ich weiß noch, dass ich dachte "wow, das war geil, wenn jetzt kein Anstieg mehr kommt, ist es perfekt". Tja, und dann geht es doch noch einmal richtig rauf und runter. Zu diesem Zeitpunkt ist das allerdings völlig egal. Ein paar Meter noch und das Ding ist geschafft.
Fazit: Zuerst eine Warnung – 300 Kilometer off-road sind kein Zuckerschlecken. Wer noch nie so weit auf der Straße gefahren ist, dem raten wir von dieser Erfahrung ab. Allein schon wer nicht Semi-Profi ist, sondern normal erfahren – wie wir zum Beispiel –, hat hier schon ein dickes Brett vor der Brust. Gut, Warnung abgehakt. Die Orbit 360-Niedersachsen-Runde ist toll. Ein langer, sehr langer Gravel-Traum. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den Orbit-Scout Anno Sebbel. Wir hätten uns allein den ein oder anderen geplanten Haken mehr, hin zu einer Tankstelle oder ähnlichem, gewünscht. Aber auch davor sind unsere Leser nun gewarnt. Darum an alle Orbit-Piloten: Wer lange graveln möchte, der sollte nach Buchholz in der Nordheide kommen. Und als letztes: Warum denken wir, dass Buchholz der richtige Ort für den Start ist? Weil die Strecke mit diesem Startpunkt wirklich spektakulär endet. Viel Spaß beim Ausprobieren!

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