Die Coronakrise legt das Wirtschaftsleben in Deutschland weitestgehend lahm. Auch wenn in der Bundesrepublik das Radfahren auf der Straßen, Park- und Waldwegen unter Einhaltung der Regeln erlaubt ist, hat die Fahrradbranche mit Liefer- und Absatzproblemen massiv zu kämpfen. Überdies dürfen viele Fahrradgeschäfte keine Räder mehr verkaufen. Wir haben mit Markus Storck, Geschäftsführer und Gründer der Fahrradmarke Storck Bicycle, über die Ausnahmesituation gesprochen und ihn nach den Auswirkungen auf einen mittelständischen Fahrradbetrieb wie seinen gefragt.
Herr Storck, das Coronavirus hat die Fahrradbranche im Schwitzkasten. Wie nehmen Sie die Situation wahr?
Eines unserer Hauptprobleme ist aktuell, dass jedes Bundesland unterschiedliche Regelungen kommuniziert. In einigen Bundesländern dürfen Fahrradläden nur noch Reparaturleistungen anbieten, Hessen, Rheinland-Pfalz und Bayern etwa, in anderen Bundesländern wie Berlin, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern können noch Fahrräder verkauft werden. Eine bundesweite, einheitliche Regelung ist aus meiner Sicht notwendig. Ich kann nicht nachvollziehen, warum jedes Bundesland die Ansteckungsgefahr unterschiedlich bewertet. Besteht ein Unterschied zwischen einem Kunden, der einen Schlauch kauft, und einem, der ein Fahrrad erwerben mag? Die Ansteckungsgefahr dürfte doch weitestgehend identisch sein. Wenn man sagt, dass das Fahrrad systemrelevant sei, muss man auch entsprechende Regeln formulieren. Alles andere wären Lippenbekenntnisse. Wozu dieser Umstand außerdem führt, ist eine massive Wettbewerbsverzerrung. Insofern haben wir es aktuell mit einem Flickenteppich zu tun.
Und wirtschaftlich gesehen?
Die Fahrradbranche ist insgesamt zwei-, vielleicht sogar dreifach gestraft. Rahmen und Komponenten, natürlich auch unsere, kommen überwiegend aus Asien, aus China. Die ersten Probleme traten für uns schon Anfang dieses Jahres auf, als die Chinesen die Produktion eingestellt haben. So langsam fahren die Chinesen wieder hoch und laufen bei einem 60- bis 70-Prozent-Status. Dann folgte der Shutdown in vielen europäischen Ländern und der damit einhergehende, massive Rückgang im Absatzmarkt dort. Jetzt rollt die dritte Welle aus Japan auf uns zu, wenn Shimano wegen der Ausnahmesituationen in Japan nicht mehr produzieren und liefern kann. Teilweise haben wir jetzt schon Probleme: Unsere Lenkerbänder und Sättel kommen aus der Norditalienischen Lombardei, ebenso Kurbeln und Kettenblätter für unsere Fazua-Motoren – von dort kommt aktuell rein gar nichts mehr bei uns an. Wir sind im Dauerkrisenmodus und müssen schauen, wo wir die Komponenten auftreiben können.
Aus Bürgersicht: Sind Sie mit den Maßnahmen der Bundesregierung zufrieden?
Ich hätte es besser gefunden, wenn wir Maßnahmen wie die Ausgangsbeschränkungen wesentlich früher ergriffen hätten. Wäre der Shutdown früher gekommen, hätten wir auch schneller wieder ins Wirtschaftsleben starten können. Anhand anderer Länder konnte man sehr genau sehen, dass die Krise keinesfalls an uns vorbeigehen wird. Im Grunde wird die Coronakrise jedes Land ergreifen. Man führe sich nur mal vor Augen: Es sind bereits jetzt schon 209 Länder betroffen. Was mich enttäuscht, vielleicht sogar ärgert: Es gab Pandemie-Pläne für ähnliche Szenarien. Wir hatten also diese Pläne, aber was wir nicht haben, sind Schutzmasken, von denen das Robert Koch Institut übrigens behauptete, dass wir sie nicht brauchen, während andere Wissenschaftler das Gegenteil sagen, und andere Länder wie China und Taiwan vormachen, dass Masken die Infektionsgefahr verringern können. Ich gehe stark davon aus, dass das Tragen von Schutzmasken auch hierzulande einen Beitrag zur Eindämmung des Virus leisten könnte – und demnächst wird.

„Online konnten wir das Geschäft um 250 Prozent steigern“

Welche Auswirkungen hat die Krise auf Ihr Unternehmen?
Die Krise trifft uns stark. Aber ich kann der aktuellen Situation sogar etwas Positives abgewinnen. In den beiden letzten Jahren haben wir den Onlinehandel stark ausgebaut im Rahmen unseres neuen Vertriebskonzepts, 4.0 genannt. Dadurch haben wir in Deutschland im März unseren Umsatz im Direkt-Kundengeschäft um 20 Prozent steigern können, online sogar um 250 Prozent. Wir nehmen also eine deutliche Verschiebung zu Gunsten des Onlinegeschäfts wahr. Das wiegt den Umsatzrückgang natürlich nicht auf – aber kompensiert einen Teil der Verluste. Die schlechte Nachricht ist, dass unsere asiatischen Partner in Korea, Malaysia und Thailand geschlossen haben, unsere internationalen Kunden nehmen aktuell keine Produkte ab.
Wie bewerten Sie die Hilfsprogramme der Bundesregierung?
In Deutschland sind wir in der sehr glücklichen Lage, dass die Regierung Unternehmen unter die Arme greift und dass wir eine solche Krise volkswirtschaftlich stemmen können. Das funktioniert aus meiner Sicht auch sehr gut. Man darf allerdings auch nicht unterschlagen: Wenn man Kredite aufnimmt, braucht man Jahre länger, diese auch zu tilgen. Unter Umständen geben manche Unternehmen die Preise an den Endkunden weiter. Wenn Fahrräder teurer werden, wird das niemanden freuen. Aber ich will nicht jammern. Wenn man sich vorstellt, dass viele Menschen in Kurzarbeit auf 40 Prozent ihres Nettoeinkommens verzichten müssen, geht es vielen Menschen noch viel schlechter. Wir sitzen alle im selben Boot – und müssen schauen, wie wir alle zusammen am besten aus der Krise wieder herauskommen.
Haben Sie schon Maßnahmen wie Home-Office und Kurzarbeit ergriffen?
Ein Teil der Mitarbeiter, jedenfalls jener Teil, der von zu Hause arbeiten kann, haben wir tatsächlich ins Home-Office geschickt. Einen kleinen Teil der Belegschaft haben wir überdies auf Kurzarbeit umgestellt, zum Beispiel die Abteilung Internationaler Vertrieb. Unsere Mitarbeiter wissen, dass wir solche Maßnahmen nicht ergreifen, weil wir Spaß dran haben, sondern weil es eine schwierige Situation fürs Unternehmen ist.
Wie ist bei Ihnen persönlich die Stimmung?
Ich freue mich über das steigende Direkt-Kundengeschäft und die steigenden Online-Zahlen. Schauen Sie, wir feiern dieses Jahr unser 25-jähriges Jubiläum als Storck, ich persönlich arbeitete seit 1980 in der Fahrradindustrie. In den 40 Jahren haben ich so viel gesehen und erlebt, dass ich letztlich sage: „Hey, das Leben geht weiter!“ Wir müssen jetzt erstmal über diese Zeit kommen – mein Glas ist ohnehin immer halb voll, niemals halb leer. Ich tippe darauf, dass die Fahrradläden ab dem 4. Mai flächendeckend wieder öffnen können. Das wäre dann das Licht am Ende des Tunnels.
Kann man sich als Fahrradhersteller gegen solche Krise wappnen?
Ich glaube, dass wir nicht in der Lage sind, noch mehr Teile auf Lager zu legen. Und auch eine Produktion in Europa wird nicht möglich sein, weil der Kunde nicht bereit ist, einen Aufpreis von hunderten Euro zu zahlen. Das wäre wünschenswert, widerspricht aber der Erfahrung der letzten Jahre, in denen vor allem jene Unternehmen am erfolgreichsten waren, die am besten die Preise drücken konnten. Nehmen wir mal einen Leichtbau-Carbonrahmen, für den wir etwa 70 Arbeitsstunden veranschlagen – in einem Hochlohnland wie Deutschland würde ein Vielfaches der Kosten entstehen.Was ich als Unternehmer gelernt habe und in Zukunft umsetzen werde: Viren-Schutzmaterial für meine Mitarbeiter auf Vorrat zu lagern. Unsere Partner aus China haben uns im März Masken geschickt, damit wir unsere Mitarbeiter schützen konnten. Ich fürchte, es wird nicht das letzte Virus sein, was unsere Wege kreuzt.

„Ich habe noch nie so viele Menschen auf Fahrrädern gesehen.“

Krisen produzieren Gewinner und Verlierer. Auf welcher Seite steht die Fahrradbranche?
Ich habe heute Morgen mit einem Freund telefoniert, der mir erzählt hat, dass er erstmal in keine S-Bahn mehr steigt, sondern mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt. Ich glaube, dass das Fahrrad in Hinblick auf die Mobilität eine nochmal größere Rolle spielen wird, als es das jetzt schon tut. Wie wird das Verhalten nach dieser (ersten) Coronakrise aussehen? Ich denke, vielen Menschen wird zunehmend klar werden müssen, dass eine zweite Welle auf uns zukommen kann. Und was ist, wenn sich das Virus nochmal verändert? Gehen solche Menschen wie vorher selbstverständlich in ein Fitnesscenter und teilen sich Sportgeräte mit weiteren 100 Menschen auf engem Raum? Oder fahren diese Menschen stattdessen mit dem Fahrrad in den Wald und gehen dort ihrem Fitnessprogramm nach.
Aber gucken wir uns das Krisen-Verhalten jetzt an. Ich habe noch nie so viele Menschen auf Fahrrädern gesehen. Die Menschen werden aus meiner Sicht viel, viel weniger in Flugzeuge steigen, sondern Europa und Deutschland als Reiseziel neu entdecken – und das Fahrrad wird dementsprechend ein wichtiger Bestandteil sein. Grundsätzlich hoffe ich, dass sich das Verhältnis vom Menschen zur Natur zum Positiven verändern wird. So eine Krise bietet Raum für enorme gesellschaftliche Veränderungen. Einen klaren Gewinner wird es geben, das sehen wir jetzt schon: den Online-Handel. Die Leute informieren sich bei uns online und schlagen dann telefonisch bei unseren Stores auf und lassen sich dort beraten. Und sie fahren meines Erachtens so viel Fahrrad wie noch nie. Und jetzt sind wir wieder am Anfang des Gesprächs: Wir sollten zeitnah bundeseinheitliche Regelungen für den Fahrradfachhandel definieren und umsetzen. Die Menschen wollen jetzt aufs Rad, wir sollten ihnen dies so einfach wie möglich machen.

Podcast mit Markus Storck über sich, sein Geschäft und den Werkstoff Carbon

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